Der Sargträger
Wenn jemand in der Familie einen Trauerfall hatte, war es in Goldbach üblich, dass man wegen der damit zusammenhängenden Angelegenheiten zur Schreinerei Krausert in der Hauptstraße, jetzt Peter Sauer, ging, deren Inhaber sich um alles kümmerten, vom Grabkreuz, den Vorbeterinnen bis hin zu den Sargträgern, falls die Familienangehörigen in dieser Beziehung nicht andere Wünsche hatten. Häufig waren die Grabträger vier gestandene Männer, meist schon im Rentenalter, denn man musste ja zu normalen Arbeitszeiten bereit stehen, um seinen Dienst zu versehen.
Einer dieser Krausertschen Profisargträger war Walter, der einen kleinen Sprachfehler hatte. Er stotterte nicht wirklich, sondern hatte nur Probleme die ersten Silben betreffend. Wenn er diese nach zwei oder drei Wiederholungen einmal ausgesprochen hatte, war sein Redefluss ganz normal.
Manche Bräuche kommen heute völlig aus der Mode, aber bei uns in Goldbach war es üblich, dass man den Ministranten, die beim Requiem dienten, den Rosenkranzbeterinnen und natürlich auch den Sargträgern nach der Beerdigung ein Trinkgeld gab. Häufig wurden auch die Sargträger auf ein oder zwei Glas Bier zum Tröster ins Gasthaus eingeladen. Schlimm war es natürlich, wenn eine Familie beides versäumte, sowohl das Trinkgeld als auch den Freitrunk.
Unser besagter Walter hatte da seine eigene Methode, um an sein wohlverdientes Bier zu gelangen. Walter stand mit seinen vier Mitstreitern stets sauber herausgeputzt im dunklen Anzug, weißem Hemd und Krawatte an der hinteren Wand der Aussegnungshalle, um am Ende der Zeremonie neben den Sarg hervorzutreten und den Wagen zum offenen Grab zu fahren, wo der Sarg dann von den vier Männern heruntergehoben und ins Grab abgelassen wurde. Da die Sargträger dem oder der Verstorbenen als Erste die letzte Ehre am Grab erweisen, machte sich Walter sogleich auf, um vor dem Lokal zu warten, in dem sich die Familie zum Tröster traf. Kamen dann die Verwandten schließlich, lächelte Walter ganz freundlich, sprach sein Beileid per Händedruck aus und sagte:
„Unn, was, was was måndä? Houmän ni schäi nåbgelosse?“
Spätestens dann begriffen auch die Begriffstutzigsten, dass es Zeit war die Einladung für ein Glas Bier auszusprechen.
Die Schmunzelgeschichten sind geschrieben von Rüdiger Hock.