Der Feueralarm
Josephine und Karl wohnten in Goldbach in einem kleinen Fachwerkhaus, dessen Fachwerk allerdings zugeputzt worden war. An das kleine Häuschen schließt sich eine Reihe von Nebengebäuden an, die eine große Zahl von Hasenkästen beherbergten, einige Ziegen und einen kleinen Traktor. Eine stattliche Schar von Hühnern bevölkerte die freie Fläche hinter den Nebengebäuden, zwei Katzen hielten die Zahl der kleinen Nager klein und ein Mischlingshund bewachte den Hofeingang, neben dem sich ein mächtiger Misthaufen erhob.
Das wäre ja alles nichts Außergewöhnliches gewesen, wenn sich diese Anekdote in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts abgespielt hätte oder sogar noch früher, aber sie spielte am Ende des letzten Jahrhunderts.
Josephine und Karl hatten nämlich unter anderem noch einen Außenklo. Jeder, der, wie ich, in der Nachkriegszeit oder früher geboren worden war, weiß noch genau, was man sich darunter vorzustellen hat. Meist war es ein Holzhäuschen am Treppenaufgang, in dem man, auf einem Holzbrett sitzend, in das ein Loch hineingeschnitten war, sein Geschäft über einer nicht immer wohlriechenden Grube verrichten musste. Im Winter war es eiskalt, im Sommer umschwirrten einen die unzähligen Fliegen, statt Hakle feucht oder Charmin vierlagig soft gab es als Toilettenpapier fein säuberlich geschnittene Blätter aus dem Volksblatt oder Main Echo, die an einem Fleischerhaken aufgehängt waren.
Bedingt durch diese Tatsache, musste man sich im Haus, wenn man nicht des Nachts diesen sehr anheimelnden Ort aufsuchen wollte, mit entsprechenden Gefäßen unter dem Bett behelfen, die von Josephine des Morgens vorsichtig zum Misthaufen getragen, ausgeschüttet und auf dem Rückweg kräftig ausgeschüttelt wurden, bevor sie wieder ihren Platz unter dem Bett fanden.
Dies alles, wie bereits erwähnt, geschah zu einer Zeit, in der beinahe jeder Haushalt in Goldbach bereits über eine Wassertoilette im Haus verfügte und Nachttöpfe höchsten noch als Dekorationsstücke im Freien aufbewahrt wurden, manchmal mit Blumen bepflanzt, zur Erinnerung an die „gute“ alte Zeit.
Nicht so bei Josephine und Karl, bei denen alles so blieb, wie es immer war. Beide waren in der Nachbarschaft durchaus beliebt.
Sie waren immer hilfsbereit und vor allem wachsam. So wurde eine für Karl unbekannte Person, die in der Nachbarschaft einfach das Tor öffnen wollte, schon einmal mit:
„Hallo Sie, wås mache Sie doo, wou wolle Sie dånn hie“? angesprochen, wodurch mancher fremde Besucher in einige Erklärungsnot geriet. Karl ersetzte jede Alarmanlage. Auch erhielten allen Nachbarn, die übers Jahr ihre trockenen Brotabfälle, bei Josephine und Karl deponierten oder persönlich ablieferten, stets an Weihnachten einen geschlachteten Hasen als Dankeschön.
Karl war Mitglied im Kleintierzuchtverein und natürlich, wie es sich für einen gestandenen Goldbacher gehört, bei der Freiwilligen Feuerwehr. Karl war bei jeder Kirchenparade und bei jedem Festzug mit Begeisterung dabei. Auch wenn das schwarze Lederkoppel mit der Zeit immer mehr spannte und den wohlbeleibten Karl nahezu in zwei Hälften teilte, er zog bei solchen Gelegenheiten die Uniform an, setzte den Helm auf und ab ging es im Gleichschritt mit den anderen Feuerwehrkameraden. Das Wichtigste war natürlich bei solch feierlichen Anlässen das Löschen des Durstes hinterher, im Festzelt oder beim Schillo. Natürlich war Karl auch bei jeder Feuerwehrübung dabei und sauste zum Feuerwehrhaus, wenn es einen Alarm gab. So ein richtiger Feueralarm, das war es, wovon Karl träumte.
Und dann war es tatsächlich soweit. Im Sägewerk in Hösbach Bahnhof brannte es und alle Wehren im Umkreis wurden alarmiert und mussten ausrücken. Karl befand sich mit seiner Josephine mitten im tiefsten Schlummer, als er vom Heulen der Sirene jäh geweckt wurde. Raus aus dem Bett, rein in den Anzug und in die Stiefel, die Koppel umgeschnallt, in Windeseile war Karl parat, nur der Helm fehlte noch.
Schlaftrunken rieb sich seine Gattin die Augen, als Karl laut rief, ja schon brüllte:
„Jòsefine, wou es mån Helm“? „Unäm Bett Karl, äwä owåcht, veschlabber nex!“
Die Schmunzelgeschichten sind geschrieben von Rüdiger Hock.