Der Schulratsbesuch

Alle hier Anwesenden können sich mit Sicherheit noch an ihre Schulzeit erinnern und auch an den Tag, an dem der Schulrat zu Besuch kam.

Wir armen Schülerwürstchen wurden schon Wochen vorher in Panik versetzt, nichtsahnend, dass der Besuch des Schulrates ja eigentlich nicht uns galt, sondern der Lehrerin oder dem Lehrer und der Schulleitung. Was wurden wir getrimmt, dass wir uns ja anständig verhalten sollten, dass wir aufstehen sollten, wenn wir vom Schulrat etwas gefragt werden sollten, dass nicht nur unser Platz picobello sauber war, sondern auch wir sauber gekleidet erschienen, vor allem mit gewaschenem Hals und gewaschenen Händen. Das Klassenzimmer wurde jahreszeitlich geschmückt, Blumentöpfe, die sonst nur wenige Tage überlebt hätten,  standen auf den Fensterbänken, wir selbst saßen wie die dressierten Zirkusäffchen in unseren Bänken.

 

So geschah es auch vor vielen, vielen Jahren, sagen wir an der Hauptschule in Hösbach. Die Mädchen und Buben waren bestens präpariert, das Klassenzimmer strahlte in seltenem Glanz, der gefürchtete Schulrat konnte kommen.

Natürlich wurde er von der Schulsekretärin herzlich begrüßt und ins Lehrerzimmer geführt, wo man ihm Kaffe und Stücken kredenzte, um ihn wohlwollend zu stimmen. Da er sich ja in erster Linie für die Unterrichtsführung der Lehrkräfte interessierte und natürlich auch für die ordentliche Schulleitung, ließ er sich zunächst die handgeschriebenen Protokolle der letzten Lehrerkonferenzen zeigen, die er gütigst abnickte, danach schaute er sich die Stundenpläne an und warf einen Blick in die Klassenbücher. Er wollte heute Herrn Völker einen Besuch abstatten und las erfreut im Klassenbuch der siebten Klasse, dass an diesem Vormittag gerade deutsche Literatur auf dem Stundenplan stand. Heinrich von Kleist der zerbrochene Krug.

Der Schulrat betrat das Klassenzimmer, die Kinder erhoben sich wie ein Mann und grüßten ihn mit einem donnernden „Grüß Gott, Herr Schulrat“!
Als sich alle wieder gesetzt hatten, schritt der Schulrat sanft lächelnd durch die Bankreihen, in denen die Mädchen und Buben eifrig die Lektüre studierten. Zu dieser Zeit gab es noch keine Sonderschulen, sondern man praktizierte die heute viel gerühmte Inklusion, das heißt alle Kinder eines Jahrgangs besuchten die Klasse, ganz gleich welche körperlichen Gebrechen oder geistigen Defizite sie hatten. Der Schulrat blieb an einer Bank stehen und rief den dort sitzenden Buben auf, der sich sofort erhob und aus der Bank trat. Leider hatte der Schulrat eines dieser Inklusionskinder erwischt. Er fragte ganz freundlich. „Na, wie heißt du denn, mein Junge?“ „Isch ben de Kall, Herr Schulrat!“ kam die prompte Antwort.
Der Schulrat lächelte, war er doch bei seiner Arbeit einige Dialekte gewöhnt. „Nun Karl, was kannst du mir über den zerbrochenen Krug erzählen?“ Ängstlich blickte Karl erst zum Lehrer und dann zum Schulrat. „Isch hou en ni kaputt gemacht, Herr Schulrat!“ Der Schulrat schüttelte den Kopg und ließ den Karl wieder hinsetzten.
„Sagen Sie, Herr Kollege, welche Art Unterricht halten Sie denn hier?“ wandte er sich nun an Herrn Völker, „ich frage nach dem zerbrochenen Krug und der Junge antwortet, er habe ihn nicht kaputt gemacht!“ Herr Völker war etwas verlegen. „Wissen Sie Herr Schulrat, ich kenne den Karl schon von klein auf und ich kenne auch seine Eltern, sein Vater singt mit mir bei der Germania, das sind grundehrliche Leute. Wenn der Bub sagt, er hat den Krug nicht kaputt gemacht, dann hat er ihn auch nicht kaputt gemacht.“ Nach dieser Aussage des Lehrers stürmte der Schulrat entsetzt aus dem Klassenzimmer schnurstracks in das Zimmer des Rektors. Er konnte sich gar nicht beruhigen.

Ja, sagen Sie um Gottes Willen, was wird denn bei Ihnen hier unterrichtet. Ich frage einen Schüler aus der siebten Klassen nach dem zerbrochenen Krug und er antwortet, dass er ihn nicht kaputt gemacht habe. Als ich die Lehrkraft um Aufklärung bat, erhielt ich die Antwort, dass der Lehrer dem Buben glaube, weil er so ehrlich sei. Also, ich bin entsetzt!“
Der Rektor redete beruhigend auf den Schulrat ein und sagte schließlich: „Herr Schulrat, unter uns, schaffen wir doch die Sache aus der Welt, ich bezahle Ihnen den Krug!“ Jetzt stürmte der Schulrat nicht nur aus dem Klassenzimmer, sondern auch aus dem Schulhaus, worüber der Rektor nur den Kopf schüttelte.

 

Einige Wochen gingen ins Land, die Schulräte des Regierungsbezirks Unterfranken waren nach München zum Kultusministerium eingeladen. Es heißt jedoch nicht, dass der Kultusminister auch etwas von Kultur und Schule verstehen muss, wir hatten in Bayern schon eine Hotelfachfrau als Kultusministerin. Am Ende der Tagung, traf man sich in lockerer Runde, um Erfahrungen auszutauschen und mit Kollegen zu plaudern, die man lange nicht gesehen hatte. So stand auch unser Schulrat mit dem Kultusminister in einer kleinen Runde zusammen und gab sein Erlebnis aus der Hauptschule zum besten, dass der Bub behauptete, er habe den Krug nicht kaputt gemacht, der Lehrer ihm glaubte, weil er so eine ehrliche Haut sei und der Rektor ihm zu guter Letzt den Krug bezahlen wollte.

Der Kultusminister blickte aufmerksam auf und fragte: „War das etwa der Rektor Fleckenstein aus Hösbach?“ Der Schulrat nickte eifrig. Der Kultusminister klopfte dem Schulrat jovial auf die Schulter. „Guter Mann, das kannst du lange auf dein Geld warten!“

Die Schmunzelgeschichten sind geschrieben von Rüdiger Hock.

Bitte aktivieren Sie JavaScript in Ihren Browsereinstellungen, damit diese Seite korrekt dargestellt wird.

Ihr Browser ist veraltet!

Aktualisieren Sie Ihren Browser, damit diese Seite korrekt dargestellt wird. Jetzt Browser aktualisieren

×